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Vojta-Therapie: So wecken Sie Ihr Nervensystem

Vojta-Therapie: So wecken Sie Ihr Nervensystem

Die Vojta-Therapie ist eine Methode der Physiotherapie, die vor allem für Patienten mit geschädigtem Zentralnervensystem infrage kommt. Sie zielt darauf ab, die geschädigten Körperbereiche teilweise oder idealerweise gänzlich, bzw. auf „reflexogenem“ Wege wieder zu reaktivieren. Dazu setzen Physiotherapeuten hauptsächlich auf gezielte Reize und die körpereigenen Reaktionen. Unser 11880-Physio-Ratgeber erklärt Ihnen die Methode Vojta-Therapie und wie sie angewendet wird.

Wie funktioniert die Vojta-Methode?

Vojta-Methode
© KatarzynaBialasiewicz - istockphotos.com

Der Physiotherapeut wendet bei der Vojta-Methode gezielten Druck auf spezielle, neuralgische Körperzonen aus. Der Patient kann sich dabei in nahezu beliebiger Lage befinden, Bauch-, Seiten- oder Rückenlage sind gleichermaßen möglich. Ganz gleichgültig ist die Körperlage gleichwohl nicht, denn je nach Lage und Reiz durch den Therapeuten erzielt er bestimmte körperliche Reaktionen durch bestimmte Reize. Diese Reize beinhalten sowohl Druck- als auch Zugbewegungen, die in insgesamt zehn Körperzonen ausgeübt werden können.

Die Reiz-Reaktionen während der Vojta-Therapie

Die Reize heißen Reflexkriechen und Reflexumdrehen. Die „Antworten“ auf die durch den Physiotherapeuten gesetzten Reize erfolgen durch den Körper ganz automatisch, das gilt für Menschen jeden Alters.

Dabei stellt sich das Reflexkriechen als Kriechbewegung dar, welche sich aus der Bauchlage ergibt. Der Kopf liegt seitlich gedreht, während die Extremitäten in bestimmen Winkelstellungen liegen. Dadurch ergeben sich gewisse Auslösungszonen, die mit gezielten Bewegungsabläufen aktiviert werden. Wichtig hierbei ist, dass den Reizen Widerstände gegenüberstehen. Diese erreicht der Therapeut, indem er Widerstände entgegensetzt, wie z. B. das Festhalten eines Körperteils. Die dadurch gebremsten Körperteile erfahren eine Zunahme der körperlichen Spannung, während gewisse andere Körperteile bzw. die gesamte Muskulatur gestärkt werden. Insbesondere Bewegungsabläufe wie Gehen, Aufstehen, Abstützen und Greifen werden so gefördert.

Das Reflexumdrehen beginnt durch Reize während der Rückenlage, geht dann hinüber zur Seitenlage und endet im sogenannten Vierfüßlergang bzw. Krabbelgang. Die Aktivierungszone befindet sich in der Brustzone zwischen der siebten und achten Rippe. Auch hierbei wird während der darauffolgenden Drehung des Kopfes ein Widerstand seitens des Therapeuten erzeugt. Das Reflexumdrehen ist vor allem für die Streckung der Wirbelsäule verantwortlich, aber auch für das Beugen der Beine in den Fuß,- Knie, -und Hüftgelenken sowie die Stützfunktion der Arme.

Reflexlokomotion

Diesen Zusammenhang zwischen Reizen durch den Therapeuten und Reaktionen durch den Körper des Patienten nennt man in der Vojta-Methode Reflexlokomotion. Die Reflexlokomotion führt zu einer koordinierten, beabsichtigten Aktivierung der Muskulatur des Skeletts und spricht zudem das zentrale Nervensystem auf mehreren Ebenen an. Ausgelöst werden die Reaktionen im Rahmen der Vojta-Methode durch Druckreize, die übrigens schon bei Neugeborenen entsprechende Reaktionen hervorrufen können.

Die wichtigsten automatischen, angeborenen Bewegungsmuster werden so Stück für Stück hergestellt bzw. verbessert, darunter die Steuerung die Gleichgewichts (posturale Steuerung), die muskuläre Aufrichtung gegen die Schwerkraft und Beuge-, Streck-, Greif- und Schrittbewegungen der Extremitäten, was als phasische Beweglichkeit bezeichnet wird. Aber auch andere Bewegungen wie etwa die Atemmuskulatur, die Schließmuskulatur von Darm und Blase sowie die Bauch- und Beckenbodenmuskulatur werden mithilfe der therapeutischen Maßnahmen aktiviert.

Wo werden Reize gesetzt?

Das wiederum legt nahe, so Professor Vojta, Begründer und Namensgeber der Therapie, dass entsprechende Bewegungen selbst bei noch ganz jungen Menschen aktiviert werden können, obwohl sie diese noch gar nicht bewusst ausführen können. Gleichfalls wirkt die Vojta-Therapie auch bei Erwachsenen, denen man fälschlicherweise nachsagt, dass ihr Nervensystem nicht mehr so formbar ist wie in jungen Jahren. Die Vojta-Therapie ist daher für alle Altersklassen konzipiert. Und darum geht es auch bei der Vojta-Therapie, wenn nämlich Menschen – unabhängig von Alter und Geschlecht – Bewegungen des Alltags wegen Schädigungen des Nervensystems nicht mehr oder nicht mehr in gewohnter Art und Weise ausführen können. Damit die Routine von Greifen, Aufstehen oder Umdrehen sich wieder einstellen kann, werden bei der Vojta-Therapie vornehmlich an der Wirbelsäule, aber auch an den Extremitäten oder im Gesicht Druckreize ausgeübt.

Befreiung blockierter nervlicher Netzwerke

Die dadurch ausgelösten, reflexartigen Bewegungen sollen helfen, die blockierten neuralen Netzwerke wieder zu aktivieren, freizuschalten oder neu zu formen. Die durch Druck motivierten Bewegungen, die Reflexe, können so den Informationsfluss durch die Nervenbahnen zum Gehirn (wieder-)erschließen, so die Fähigkeit zu entsprechenden Bewegungen wieder ermöglichen, um somit schließlich aus Reflexen wieder bewusste Bewegungen zu machen.

Vojta Therapie Ziele
© Tatomm - istockphotos.com

Ziel der Vojta-Therapie

Konkret heißt das, die Vojta-Therapie hat vor allem zum Ziel, die Aufrichtung und Bewegung des menschlichen Körpers wiederherzustellen. Im Zentrum dessen stehen das Gleichgewicht, die Aufrichtung sowie die elementaren Bewegungen des Greifens und des Gehens. Die Wirbelsäule und der Kopf werden so beweglicher, während sich die Gelenke zentrieren, Fehlhaltungen abnehmen und Füße und Hände wieder besser stützen und greifen können. Durch die Reflexlokomotion sollen diese essenziellen Bestandteile der menschlichen Motorik nicht nur wieder erreichbar, sondern auch wieder bewusst einsetzbar und aktivierbar sein. Dabei geht es nicht um die Übung der Bewegungen selbst, sondern um die Konditionierung der nervlichen Informationsgänge bzw. den Zugriff auf entsprechende Bereiche des zentralen Nervensystems und somit die Erlangung der motorischen Alltagstauglichkeit. So können angeborene Fehlstellungen und die daraus resultierenden Fehlbelastungen in einigen Fällen behandelt werden. Ebenso sind genetische Erkrankungen, die zu Koordinationsstörungen führen, therapierbar.

Weitere Anwendungsbereiche

Neben dieser vorrangigen Zielsetzung kann während der Vojta-Therapie auch die Zungen- und Kieferbewegung angesprochen werden. Dadurch wird auch das Sprechen erleichtert, die Aussprache wird deutlicher und die Stimme generell kräftiger und lauter. Zudem kann der Physiotherapeut durch die Vojta-Methode die Augenbewegung, die Blasen- und Darmfunktion, den Schlaf-Wachrhythmus sowie die Atmung positiv beeinflussen. Die Therapie kann Folgeerkrankungen, Schmerzen und Kraftverlust vorbeugen. Auch Empfindungen, wie etwa die Raum- und Körperwahrnehmung,  das Empfinden und Erkennen von Temperaturen, Formen und Strukturen sowie die Konzentrationsfähigkeit verbessern sich. Bei Säuglingen hat sich die Vojta-Therapie auch als effektiv für das Saugen und Schlucken erwiesen.

Vojta-Therapie bei Kindern

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Besonders wenn sie im Kindesalter ärztlich angeordnet wird, ist die Vojta-Therapie am besten dann anzuwenden, wenn sich noch keinerlei motorische Ersatzmuster gebildet haben. Insbesondere Kinder bis zum ersten Lebensjahr profitieren am meisten von der Vojta-Therapie. Wo natürliche Bewegung nicht mehr möglich ist, kann sich gerade bei kleinen Kindern abnormale Bewegung einstellen. Dies gilt es schnell und rechtzeitig durch die Vojta-Therapie zu verhindern und so das Kind zu einer normalen Bewegungsfähigkeit zurückzuführen.

Das bei der Behandlung entstehende Schreien der kleinen Patienten ist für viele Eltern irritierend, aber vollkommen normal, da sich vor allem Säuglinge und Kleinstkinder hauptsächlich durch Schreien artikulieren. Das Schreien ist demnach kein Ausdruck von Schmerzen, sondern eine Abneigung gegenüber den kräftezehrenden Behandlungen, die das Kind an seine körperlichen Grenzen bringt. Nach Absprache mit dem Therapeuten können in einigen Praxen besorgte Eltern die Übungen hautnah am eigenen Leib erfahren, um ein besseres Verständnis für die tatsächlichen Umstände zu erhalten. Auch die Anwendung bestimmter einfacher Übungen für zuhause können erfragt werden, um schnellere Fortschritte bei den Kindern zu erzielen.

Wann Vojta-Therapie?

Indikationen für die Vojta-Therapie sind für Patienten aller Altersgruppen. Abnormale, auffällige Bewegungsmuster können infolge von Schlaganfall oder angeborenen Schädigungen des zentralen Nervensystems auftreten, die mit Vojta therapiert werden können. Weitere therapierbare Erkrankungen sind neurologische Erkrankungen wie Parkinson und Multiple Sklerose oder Querschnittslähmungen.

Zudem kann die Vojta-Therapie als begleitende, bzw. grundlegende Physiotherapie zu vielen weiteren Methoden gesehen werden:

  • Dysplasien und Luxationen im Hüftgelenk
  • zerebrale Paresen
  • Skoliosen der Wirbelsäule
  • Koordinationsstörungen bei Säuglingen
  • Bewegungsstörungen durch Beschädigungen des zentralen Nervensystems
  • Beeinträchtigungen der Schluck-, Kau- und Atemfunktion
  • Periphäre Lähmungserscheinungen
  • diverse Muskelerkrankungen
  • Verkrümmung der Wirbelsäule
  • Traumatologische oder orthopädische Schädigungen von Armen, Schulter, Beinen oder Hüfte

Von einer Vojta Behandlung absehen, sollten Patienten mit Tumoren, akuten entzündlichen bzw. fieberhaften Erkrankungen, einigen speziellen Erkrankungen wie Glasknochenkrankheit oder Herz-Muskelerkrankungen und Schwangere.

Die Vojta-Therapie verläuft immer individuell auf die Bedürfnisse des Patienten abgestimmt. Nur ausgebildete und zertifizierte Physiotherapeuten dürfen die Behandlung durchführen. Die jeweiligen Ziele der Therapie werden anfangs festgesetzt und die jeweiligen Schritte, Übungen und Wiederholungen der Entwicklung der Patienten angepasst. Auch in therapiefreien Abschnitten sollten sich nach einiger Zeit die erzielten Erfolge sichtbar zeigen, beispielsweise anhand besserer Greiffertigkeiten oder einer verbesserten Atmung. Doch nicht nur die körperlichen Leistungen werden dank der Vojta-Therapie verbessert, auch die psychische Belastbarkeit und Zufriedenheit nimmt zu. Patienten berichten, dass sie sich glücklicher und ausgeglichener fühlen als vor der Therapie. Diese kann – je nach Grunderkrankung – mehrere Wochen, Monate oder Jahre andauern. Ein qualifizierter, einfühlsamer Therapeut ist deshalb umso wichtiger, da sie mit ihrem Patienten über einen längeren Zeitraum intensiv zusammenarbeiten und sie auf ihrem Weg der Genesung begleiten. Einen Physiotherapeut finden und Termin vereinbaren können Sie direkt in unserem Portal.



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